Der enorme Einfluß unserer Gedanken
Am 21. 9. 2009 wollte sich der 26-jährige Derek Adams umbringen, weil seine Freundin ihn verlassen hatte. Er schluckte 29 Kapseln eines Antidepressivums und bekam Todesangst. Er kam in die Klinik, weil sein Blutdruck absackte und dieser konnte dort trotz Infusionen nicht stabilisiert werden.
Die Tabletten hatte er als Teilnehmer einer Doppelblind-Medikamentenstudie bekommen. Erst nachdem Derek Adams schon auf die Notfallstation verlegt war, erfuhr er, das er zur Placebogruppe gehörte. Alle seine Beschwerden verschwanden binnen kurzem. Adams‘ Fall gilt heute als Klassiker der Noceboforschung.
Ein Nocebo ist das Gegenteil des bekannteren Placebo. Der Glaube bzw. unsere Vorstellung kann ebenso heilen und Schmerzen lindern, wie krank machen und töten. Es handelt sich dabei aber NICHT um eine Einbildung, sondern der Effekt beeinflusst messbar die Physiologie des Körpers. Es gibt Berichte über Menschen, die starben, weil sie glaubten, von einem Voodoo-Magier zum Tode verurteilt zu sein.
In unserer westlichen Medizin treten an die Stelle der Magier die Ärzte. Wenn diese Bedrohliches verkünden, werden Patienten oft depressiv. 2009 belegte im Magazin Cancer eine Metastudie den Zusammenhang von Depression und Lebenserwartung bei Krebspatienten. Die Auswertung von 9400 Fällen zeigte: depressive Krebskranke starben um 39 Prozent wahrscheinlicher.
Der Einfluß der Bilder
Der Bochumer Schmerzforscher Christoph Maier sieht auch in der inflationären Nutzung bildgebender Verfahren einen schweren Fehler, weil diese sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Er sagt: „Je mehr radiologische Aufnahmen der Patient sieht, desto wahrscheinlicher werden seine Rückenschmerzen chronisch – einfach, weil er die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommt.“ Die Erwartungshaltung prägt den weiteren Krankheitsverlauf.
„Wenn Sie Laborratten mit harmlosen Bakterien infizieren und als Stressor in eine enge Röhre setzen , sterben diese Tiere“, erklärt Manfred Schedlowski, Leiter der Medizinischen Psychologie der Universitätsklinik Essen. „Sie sterben an ungefährlichen Infektionen, welche ihre angstfreien Artgenossen unbeschadet überstehen.“
„Wir wollten extremen Stress sicherstellen bei allen Versuchspersonen“, sagt Schedlowski. „Nachdem diese als Tandemfallschirmspringer aus einem Flugzeug sprangen, haben wir ihr Blut untersucht.“ Das Ergebnis: „Innerhalb von Sekunden sind Killerzellen und Granulozyten aktiviert, der Adrenalinspiegel hatte sich verzehnfacht.“ Die Immunabwehr war maximal aktiviert. Zum Glück aber nur für kurze Zeit.
Hält ein solcher Stress jedoch über längere Zeit an, kann die Immunabwehr so nachhaltig geschwächt werden, das auch Menschen sonst harmlosen Infektionen wehrlos ausgeliefert sind.
Das Vermeiden der Angstfalle
Der nachgewiesene Noceboeffekt müsste deutlich ernster genommen werden, und Konsequenzen für die gesamte medizinische Praxis haben. „Wir dürfen Krebspatienten nicht länger als unvermeidbar nötig auf Untersuchungsergebnisse warten lassen. Die Angst vor dem Ergebnis brennt sich sonst irreversibel ins Gehirn ein, auch wenn später eine Entwarnung folgt“, sagt Winfried Rief, Leiter der Klinischen Psychologie und Psychotherapie der Uniklinik in Marburg
Was Patienten vor allem brauchen, sind Gespräche. „Wir wissen genau, welche Bedeutung Angst und Hoffnung für den Krankheitsverlauf haben. Trotzdem speisen wir die Patienten mit einer Vier-Minuten-Medizin ab“, sagt Karin Meissner, Leiterin der Arbeitsgruppe Experimentelle Psychosomatik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Aussagen wie ,Wir können nichts mehr für Sie tun‘ sind fatal.“
(Informationen aus einem FAZ-Artikel vom 27.9.2009)